Die Geschichte des Kassenrezepts

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Ein Beitrag von Prof. Dr. Markus Weih

Die laufenden Debatten zum E-Rezept bzw. zur Digitalisierung im Gesund­heits­wesen sind den meisten Ärzten inzwischen gut vertraut. Weniger bekannt sind die historischen Hinter­gründe und die Abläufe rund um die Rezeptierung eines Arznei­mittels, wie sie in den letzten Jahr­zehnten üblich waren. Die Geschichte und der „Lebens­lauf“ eines Kassen­rezepts sollen deshalb an dieser Stelle einmal nach­voll­zogen werden.

Steckbrief Kassenrezept

Das traditionelle, allen Ärzten bekannte, rosarote Kassenrezept heißt offiziell Formular für Arzneimittelverordnungen (Muster 16, siehe Abb. 1).

Im Laufe seines Lebens wird das Rezept mit einer Unmenge Daten aus vielen verschiedenen Kategorien bedruckt.1

Im folgenden Artikel sollen davon aber nur die relevantesten erörtert werden. Rp. steht für “recipe”, rechts unten in der weißen Codierleiste (Abb. 1; Feld 1) wird durch die Druckerei noch die Betriebsstättennummer (BSNR) eingetragen.

Für viele Patienten ist der Vermerk "Gebührenfrei" wichtig (Abb. 1, Feld 2). Dies trifft zu, wenn die Belastungsgrenze von 2 % des Bruttoeinkommens – für chronisch Kranke 1 % – überschritten ist (§ 62 SGB V).

Abbildung 1:

Das Kassenrezept in der Apotheke

Gibt der Patient das korrekte Rezept in der Apotheke ab, prüft diese das Rezept pharmazeutisch, aber auch auf Unklarheiten, Irrtum, Fälschung oder Missbrauch. Ist das Rezept korrekt ausgestellt, unterliegt die Apotheke dem Kontrahierungszwang. Sie muss das Arzneimittel in einer angemessenen Zeit liefern.

Den Bruttobetrag (Abb. 1; Feld 9) rechnet die Apotheke mit der Kasse ab.2
Im Idealfall erstattet diese die gesamten Kosten. Hat die Kasse Zweifel an der Richtigkeit der ausgestellten Verordnung bzw. deren Belieferung, zum Beispiel aufgrund von Formfehlern beim Ausstellen der Verordnung oder eines Fehlers bei der Belieferung, wird retaxiert. Das bedeutet, dass die Krankenkasse den Bruttobetrag nicht erstattet. Dies entspricht einem Regress für Apotheker.

Eindeutige Verordnung durch Angabe der PZN

Durch die Einführung der EAN (European Article Number, international eindeutige Produktkennzeichnung für Handelsartikel) und der Pharmazentralnummern (PZN) werden Arzneimittel eindeutig gekennzeichnet.

Die PZN ist ein bundeseinheitlicher Identifikationsschlüssel (auch für Hilfsmittel und andere Apothekenprodukte). Sie war ursprünglich für die rasche und fehlerfreie Übertragung von Bestellungen bei Arzneimittelgroßhandlungen entwickelt worden. Rasch wurde deutlich, dass mittels PZN auch in der PVS Medikamente einfach verordnet und identifiziert werden können. Musste z. B. der Apotheker früher bei den 21 verschiedenen Rebif-Produkten rätseln, ob die Injektionslösung als Fertigpen oder als Fertigspritze gemeint war, ist das Produkt nun durch die PZN eindeutig identifiziert.

Aut-idem und seine Bedeutung

Ein weiterer Bereich, der lange Zeit die Gemüter erhitzte, war aut-idem. Vor dem Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz 2002 musste der Arzt dem Austausch des Arzneimittels ausdrücklich zustimmen. Das tat er, indem er das auf dem Rezeptformular befindliche Feld „aut idem“ (lat. dasselbe) angekreuzt hat (Abb. 1; Feld 10). Durch das Gesetz wurde, politisch gewollt, die Bedeutung dieses Kästchens umgekehrt: Lässt der Arzt das Aut-idem-Feld frei, wird dem Apotheker die Substitution erlaubt. Der Arzt kann den Austausch eines Arzneimittels nur unterbinden, wenn er das entsprechende Feld ankreuzt.

Seit 2020: Dosierungsangabe erforderlich

Was sich aber vermutlich seit Jahrhunderten nicht geändert hat, ist der Informationsaustausch zwischen Arzt und Apotheker über den Wirkstoff und die Dosis. Mit einer Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung muss bei der Verordnung von verschreibungs-pflichtigen Arzneimitteln seit 2020 eine Dosierungsangabe (z. B. 1-0-0) angegeben werden, um die Arzneimittelsicherheit zu erhöhen. Liegt dem Patienten ein Medikationsplan oder eine schriftliche Dosierungsanweisung vor, ist ein Hinweis hierauf („Dj“) ausreichend.

Vertragsarztstempel und Unterschrift

Das Feld rechts unten auf dem Kassenrezept (Abb. 1, Feld 12) wird durch den Vertragsarztstempel (inkl. LANR) und die eigenhändige Unterschrift ausgefüllt. Es dient dem fälschungssicheren und eindeutigen Ausfüllen des Rezepts. Wichtig ist zu wissen: Rezepte sollten nicht einfach so “in Vertretung” unterschrieben werden. Geschieht dies in Gemeinschaftspraxen oder MVZ in der Hitze des Gefechts, sollte der Arzt sich kurz die Zeit nehmen und seinen Namen in Blockschrift ergänzen, um eindeutig klarzustellen, wer das Rezept unterschrieben hat.

Abrechnung des Rezepts mit der Krankenkasse

Seit 2017 gibt es auch Entlassrezepteaus dem Krankenhaus, die drei Werktage gültig sind und mit dem Schriftzug “Entlassmanagement” versehen sind.

Das normale Kassenrezept ist zulasten der gesetzlichen Krankenkasse 28 Tage lang einlösbar, rechtlich aber eigentlich 3 Monate gültig. BtM-Rezepte sind nach der Rezeptausstellung 7 Tage gültig, d. h., sie dürfen nur bis zum 8. Tag nach der Verordnung von der Apotheke beliefert werden. Dies wird der Apotheker sofort prüfen, ebenso wie die Frage, ob das Rezept unterschrieben ist.

Im Anschluss werden die Original-Rezepte zunächst in der Apotheke aufbewahrt, bevor sie in der Regel zweimal im Monat an einen spezialisierten Dienstleister zur Abrechnung weitergeleitet werden (z. B. VSA).3 Dort wird das Rezept im Anschluss zunächst digitalisiert (“Image”). Hier sind dann die Codierungssymbole wichtig (Abb. 1; unten links). Für Kassenrezepte sind es 6 stilisierte Ziffern und ein kleines seitenverkehrtes “h”. Auf BtM-Rezepten findet sich das Symbol “555” und bei Privatrezepten steht “PKV”.

Probleme auf den Images können handschriftliche Anmerkungen sein, die dann manuell nacherfasst werden müssen. Natürlich werden auch hier die Daten analysiert, denn es ist für Apotheken durchaus interessant, wer z. B. die Hauptverordner sind. Außerdem können die Daten für Versorgungs- und Marktforschungszwecke genutzt werden.

Das Originalrezept erhalten später die Krankenkassen. Diese müssen die Rezepte mehrere Jahre aufbewahren und nutzen sie ebenfalls für verschiedene statistische Auswertungen. Sie prüfen und leiten ggf. Retaxierungen für Apotheken ein oder stellen Prüfanträge bei Ärzten, die zu Regressen führen können.

So ist es auch verständlich, dass große Hoffnungen in das elektronische Rezept gesetzt werden, da es die Vorgänge deutlich vereinfachen könnte.

Prof. Dr. Markus Weih ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie. Er ist im Medic-Center Nürnberg – Schöll + Kollegen (MVZ) tätig und für Berufsverband und in Forschung und Lehre aktiv.