DGN-Stellungnahme zu ME/CFS kontrovers diskutiert
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat eine Stellungnahme zum aktuellen Forschungsstand bei ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) abgebeben. Laut DGN ist ME/CFS eine komplexe chronische Erkrankung mit vielgestaltiger Symptomatik, bei der sich Diagnostik und Therapie schwierig gestalten, da es keine Krankheitsmarker oder etablierte Behandlungen gebe. Studien zur Häufigkeit von ME/CFS hätten oft methodische Schwächen.
Eine Schlussfolgerung der DGN aufgrund inkonsistenter Studiendaten: Es sei nicht davon auszugehen, dass immunologische Faktoren eine entscheidende Rolle bei ME/CFS spielen. Daher sollten zukünftige Forschungsansätze nicht vorwiegend auf immunologische Erklärungsansätze gerichtet sein, sondern diagnostische und therapeutische Verfahren aus anderen Medizinbereichen miteinbeziehen, einschließlich psychischer und psychosomatischer Erkrankungen.
Kritik von verschiedenen Stellen
Die DGN-Stellungnahme wurde von verschiedenen Stellen kritisiert. So schrieb Prof. Carmen Scheibenbogen, eine führende Forscherin im Bereich ME/CFS von der Charité1: „Die neue Stellungnahme der DGN zu ME/CFS ignoriert leider aktuelle wissenschaftliche Fortschritte zu den immunologischen Mechanismen postinfektiöser ME/CFS. Stattdessen propagiert sie überholte Konzepte – und legitimiert damit auch weiterhin unwirksame und schädigende Therapien.“
Auch die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS e. V. reagiert mit Kritik: In einem umfassenden, mit Literaturquellen versehenen, Statement wird u. a. kritisiert, dass zentrale Forschungsergebnisse der letzten Jahre zu den pathobiologischen Grundlagen von ME/CFS durch die DGN unberücksichtigt blieben. Genannt werden etwa veränderte Zytokinmuster in Blut und Liquor, Autoantikörper gegen G-Protein-gekoppelte-Rezeptoren und endotheliale Dysfunktion. Zudem sei die Erkrankung, nach differenzialdiagnostischer Abklärung, klinisch anhand der Kanadischen Konsenskriterien zu diagnostizieren. Auch Zweifel an einer somatischen Genese werden kritisiert. Die Situation erinnere an die Geschichte der Multiplen Sklerose, die einst als „Frauenkrankheit“ betitelt wurde. Erst die Entwicklung spezifischer Diagnostik und Therapie veränderte die Situation, auch wenn die genauen Ursachen der MS bis heute nicht abschließend geklärt sind. Die DGN hat auf die Kritik der Deutsche Gesellschaft für ME/CFS mit einem Gesprächsangebot reagiert.
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