Das Potenzial der Ernährungstherapie
Du bist, was du isst – für dieses alte Sprichwort gibt es mittlerweile immer mehr wissenschaftliche Belege. Welch entscheidenden Einfluss Ernährungsgewohnheiten auf Erkrankungsentstehung und -progression haben, wird am Beispiel von Typ-2-Diabetes mellitus (T2Dm) deutlich: Früher noch als Altersdiabetes betitelt, sinkt das durchschnittliche Alter bei Diagnose und die Inzidenz bei Jugendlichen steigt stark an. Veränderte Ernährungsgewohnheiten und weniger Bewegung werden u. a. als ursächlich für den Prävalenzanstieg von T2Dm in den letzten Jahren angesehen.1
Der Zusammenhang zwischen ungünstigen Ernährungsgewohnheiten und der Entstehung von T2Dm ist klar belegt: Die ständige Verfügbarkeit einfacher Kohlenhydrate in vielen Fertiglebensmitteln und gesüßten Getränken sowie der mehrmals tägliche, mengenmäßig hohe Konsum dieser führen zu einem wiederkehrenden starken Plasmaglukoseanstieg. Die Folgen können eine Insulinresistenz und eine Erschöpfung der insulinproduzierenden β-Zellen sein. T2Dm ist oft mit Übergewicht oder Adipositas, kardiovaskulären Risikofaktoren und einer chronischen Inflammation vergesellschaftet – auch diese werden durch ungünstige Ernährungsgewohnheiten negativ beeinflusst.1, 2
Chronische Inflammation durch die Ernährung lindern
Wie bei T2Dm spielen Entzündungsreaktionen bei vielen chronischen Erkrankungen eine zentrale Rolle, etwa bei kardiovaskulären Erkrankungen, rheumatoider Arthritis oder chronisch-entzündlichen Haut- und Darmerkrankungen.3 Der in der sog. westlichen Ernährung oft mengenmäßig hohe Verzehr an hochverarbeiteten Lebensmitteln, Zucker und rotem Fleisch kann nicht nur schnell zu einem Kalorienüberschuss führen, sondern begünstigt chronische Entzündungsprozesse durch die vermehrte Bildung proinflammatorischer Mediatoren wie CRP, IL-6 und TNF-α. Im Gegensatz dazu senkt die mediterrane Ernährung – reich an Antioxidantien, Ballaststoffen, ungesättigten Fettsäuren und sekundären Pflanzenstoffen – diese Entzündungsmediatoren und erhöht zugleich antiinflammatorische Zytokine wie IL-10.3, 4
Diese Erkenntnisse wirken sich auch auf die aktuellen Empfehlungen hinsichtlich der Ernährung bei T2Dm aus. Sowohl die Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes als auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) geben viele konkrete Empfehlungen.
Ernährungstherapie: eine zentrale Therapiesäule bei Typ-2-Diabetes
Das Potenzial der Lebensstilmodifikation, insbesondere im Bereich der Ernährung, thematisiert die Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes.5 Neben der Aufklärung über kohlenhydrathaltige Lebensmittel und ihren Effekt auf die Plasmaglukose werden konkrete Ernährungsempfehlungen ausgesprochen: Menschen mit T2Dm sollte (Empfehlungsgrad B) eine kaloriengerechte, ballaststoffreiche Ernährung empfohlen werden, die reich an Gemüse, Früchten und bestimmten pflanzlichen Fetten ist (vgl. mediterrane Ernährung, siehe Kasten). Die aktuelle Leitlinienempfehlung revidiert somit bisherige Empfehlungen zu einer fettreduzierten Kost bei übergewichtigen Personen mit T2Dm.5
Dass nur eine Empfehlung mit „sollte“ und keine mit „soll“ ausgesprochen wird, liegt an der niedrigen Aussagesicherheit der Evidenz – u. a. werden Verzerrungseffekte und Inkonsistenzen in den Studiendaten als Grund genannt. Die heterogenen Studiendaten (Studienpopulation, Intervention, Endpunkte) zeigen teilweise signifikante Vorteile einer mediterranen Ernährung, die durch eine zusätzliche Aufnahme von pflanzlichen Fetten (Olivenöl, Nüsse) gekennzeichnet ist, gegenüber einer fettreduzierten Ernährung. So wurden in einer Studie mit Patientinnen und Patienten, die kardiovaskuläre Risikofaktoren hatten (knapp 50 % davon Diabetes), weniger Myokardinfarkte und kardiovaskulär bedingte Todesfälle registriert. Zudem mussten weniger Diabeteserkrankte eine glukosesenkende Therapie beginnen.5, 6
Die DDG spricht in ihren Praxisempfehlungen viele konkrete Empfehlungen zur Ernährung bei T2Dm aus, die über diejenigen der Leitlinie weit hinausgehen (siehe Tab.).7 Dazu wurde die Evidenz im Rahmen einer Literaturrecherche basierend auf Metaanalysen und systematischen Reviews (Beobachtungs-, Kohorten- und randomisiert kontrollierte Interventionsstudien) bewertet. Nicht selten vermerkt auch die DDG eine geringe oder nicht hinreichende Evidenz in den Studiendaten; dies wurde bei den ausgesprochenen Empfehlungen entsprechend berücksichtigt.
Tab.: DDG-Praxisempfehlungen zur Ernährung bei Diabetes Typ 2 (Auswahl)7
Allgemeine Empfehlungen |
Verschiedene Ernährungsmuster geeignet; gemeinsamer Nenner:
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Empfehlungen zur Gewichtsreduktion |
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Die DDG weist außerdem auf die zentrale Bedeutung einer individualisierten Ernährungstherapie hin. Aspekte wie Alter, Gewicht (BMI), Medikation, körperliche Aktivität sowie die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten sollten Berücksichtigung finden. Während beispielsweise bei adipösen Patientinnen und Patienten eine hypokalorische Diät zur Gewichtsreduktion indiziert ist, sollte der Fokus bei älteren Patientinnen und Patienten, die ggf. pflegebedürftig sind, auf dem Vermeiden einer Mangelernährung und der Deckung des Proteinbedarfs (Stichwort Sarkopenie) liegen. Individuelle Präferenzen sollten ebenfalls beachtet werden, damit die Freude am Essen erhalten bleibt, was wiederum einen günstigen Effekt auf die Adhärenz der Ernährungsintervention hat.7
Mediterrane Ernährung
Die mediterrane Ernährung oder mediterrane Diät ist kein fest definiertes Ernährungsmuster. Sie orientiert sich an der mutmaßlichen Lebensmittelauswahl in den Mittelmeerländern. Häufig verzehrt werden u. a. Olivenöl, (fetter) Fisch, Nüsse, Früchte, Salat und Gemüse. Seltener verzehrt werden (rotes) Fleisch, Milchprodukte, gesättigte Fette und Kohlenhydrate.3, 6
Fazit
Viele Empfehlungen zur Ernährung fußen mittlerweile auf einer recht breiten wissenschaftlichen Datenlage – nichtsdestotrotz mangelt es nicht selten an der Evidenz für eindeutige (Mengen-)Empfehlungen, sodass auch zukünftig noch viel Forschungsbedarf besteht. Eine an die mediterrane Ernährung angelehnte Ernährungsweise mit vielen frischen, überwiegend pflanzlichen Lebensmitteln kann sich präventiv bzw. vorteilhaft auf chronische Erkrankungen auswirken. Grundsätzlich sollte eine gezielte Ernährungstherapie immer patientenindividuell abgestimmt werden, damit die individuelle Situation (Alter, Medikation, Präferenzen) berücksichtigt wird.
Quellen:
1 Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2025 – Die Bestandsaufnahme. Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe. MedTrix GmbH. 14.11.2024
2 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/diabetes.html (zuletzt abgerufen am 08.04.2025)
3 Randeni N, Bordiga M, Xu B. A Comprehensive Review of the Triangular Relationship among Diet-Gut Microbiota-Inflammation. Int J Mol Sci 2024; 25(17): 9366. doi: 10.3390/ijms25179366
4 https://www.dge.de/wissenschaft/fachinformationen/sekundaere-pflanzenstoffe-und-die-gesundheit/#c7147 (zuletzt abgerufen am 08.04.2025)
5 Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes, Ergänzung zu Version 3: Kapitel Nicht-medikamentöse Therapie 2024 [cited: 2025-04-08]. DOI: 10.6101 AZQ 000518. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/nvl-001
6 Estruch R et al. Primary Prevention of Cardiovascular Disease with a Mediterranean Diet Supplemented with Extra-Virgin Olive Oil or Nuts. N Engl J Med 2018; 378(25): e34. doi: 10.1056/NEJMoa1800389. Epub 2018 Jun 13. PMID: 29897866
7 Skurk T et al. Empfehlungen zur Ernährung von Personen mit Typ-2-Diabetes mellitus. Diabetologie 2023; 19: 482–512. https://doi.org/10.1007/s11428-023-01041-4