Neues aus der Neurologie und Psychiatrie

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Prof. Weih berichtet von der 93. Jahrestagung der Bayerischen Nervenärzte

In einer dreiteiligen Serie berichtet Herr Prof. Weih von der 93. Jahrestagung der Bayerischen Nervenärzte. Diese fand am 15. und 16. Oktober 2021 im Kloster Irsee statt.

Im zweiten Teil steht das Thema „Fahreignung aus psychiatrisch-psychologischer Sicht“ im Mittelpunkt. Außerdem werden das telemedizinische Projekt „TANNE“ und Therapiestrategien bei MS vorgestellt.

Fahreignung aus psychiatrisch-psychologischer Sicht

Im Themenblock Fahreignung referierte Herr PD Dr. phil. Brunnauer aus Wasserburg aus psychiatrisch-psychologischer Sicht. Die Mehrzahl der psychiatrischen Patienten fährt regelmäßig mit dem Kfz. Das Unfallrisiko auch für tödliche Verkehrsunfälle ist z. B. bei ADHS unter psychoaktiven Medikamenten oder bei den zunehmenden kognitiven Störungen (MCI, Alzheimer, FTD) erhöht. Es wurden die rechtlichen Rahmen­bedingungen und typischen verkehrs­medizinischen Fragestellungen dargestellt. Zur Anwendung kommt u. a. das Wiener Testsystem oder eine Fahrprobe (SDLP). Für die verschiedenen Führerscheinklassen gibt es klare testpsychologische Grenzwerte. Wichtig ist aber nicht nur die Testleistung, sondern auch die Vielfalt der Kompensations­möglichkeiten (Sehhilfe, Umkreis­begrenzung, Automatik­fahrzeug, Fahrzeugumbau).

Bei den affektiven Störungen sind die mittelschwer-schweren Depressionen und die Manien oder Psychosen wichtig, aber auch Schlaf­störungen oder Substanz­missbrauch. Auch bei pharmakologisch stabil remittierten Patienten mit Psychose lassen sich kognitive Einbußen nachweisen, aber die Befunde sind sehr variabel. Eine Fahreignung für Gruppe 2 (Personentransport) ist nach wie vor nicht gegeben. Generell ist die Datenbasis zu Psychopharmaka und Fahrsicherheit schlecht, insgesamt ist aber von einem erhöhten Unfallrisiko auszugehen, vor allem zu Beginn der Behandlung. Es existiert eine Risiko­klassifikation (DRUID 0–III). Tranquilizer, Hypnotika und Trizyklika fallen hier in die höchste Risikogruppe. SSRIs und SNRIs sind dagegen in der Regel unbedenklich. Herr Brunnauer warnt jedoch vor pauschalen Bewertungen einzelner Wirkstoffe und betont, dass Patienten durchaus ein Fahrzeug führen können bzw. das nicht automatisch ausgeschlossen ist. Eine intensive Diskussion gab es zum Thema ADHS und dazu, ob man eine Patienten­unterschrift einfordern kann.

Zum Abschluss des Freitags stellte Herr Prof. Widder die neurologische Perspektive dar. Hier gibt es für neurologisch Kranke viele Unzulänglichkeiten in den veralteten Begutachtungsleitlinien zur Fahreignung der Bundesanstalt für das Straßenwesen (BAST) zu beachten. In einem typischen Gutachten ist zu beurteilen, ob der Zustand dauerhaft oder paroxysmal, ob eine Einsichts­fähigkeit besteht, um welche Fahrerlaubnis­gruppe es sich handelt und ob eine Nachuntersuchung nötig ist. Von den neun in den Leitlinien genannten Erkrankungen wurden der Schlaganfall, die Epilepsie und Störungen des Gleichgewichtssinnes genauer besprochen.

Telemedizinisches Projekt „TANNE“

Den neurologischen Themenblock am Samstag führte Herr Prof. Landgrebe aus Agatharied ein. Frau Dr. Weck berichtete anschließend über „TANNE“, ein telemedizinisches Projekt, das seit 2017 mit der dortigen Palliativmedizin durchgeführt wurde. Dazu kann das SAPV-Team über eine Kamera mit Internetverbindung (Fa. MEYTEC) einen Neurologen konsiliarisch hinzuziehen. Das neurologische Diagnosespektrum war recht weit, Schwerpunkt waren aber Gliome oder ALS. Häufigster Konsultations­grund waren Delirien, Agitation, Hypersalivation und Schluckstörungen. Aktuell wird das Projekt weitergeführt, mit Förderung einer (teil-)randomisierten Studie durch den Innovationsfonds, deren Durchführung naturgemäß nicht einfach ist.

Therapiestrategien bei MS

Herr PD Havla aus München berichtete anschließend über aktuelle Fragen zu den multiplen Therapiestrategien bei der MS. Wichtig dabei sind die aktuellen S3-Leitlinien von 2021, in denen erstmals ein Therapiealgorithmus für drei Medikamenten­kategorien eingeführt wurde. Aber auch jenseits der Immuntherapie sollten die nichtmedikamentösen Effekte von Bewegung, Nikotinverzicht und Ernährung nicht vergessen werden. Hier greift auch das Projekt „MSnetWork“ gut ein, das verschiedene Kostenträger zusammenführen soll, um die Arbeitsfähigkeit der MS-Patienten zu erhalten. Eine wichtige Rolle spielt auch das Alter. Offen bleibt die Frage der „Exitstrategie“, also wann MS-Medikamente abgesetzt werden können. Hier plädiert PD Havla für ein pragmatisches Vorgehen.

» Zum 1. Teil

Prof. Dr. Markus Weih ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie. Er ist im Medic-Center Nürnberg – Schöll + Kollegen (MVZ) tätig und für Berufsverband und in Forschung und Lehre aktiv.