Digitale Gesundheitsanwendungen – moderne Medizin oder sinnlose Geldverschwendung?

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Ein Kommentar von Dominique Demuhs, Biologin, M. Sc.

Seit Anfang Oktober sind die ersten digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) – auch „Apps auf Rezept“ genannt – auf dem Markt. Sie sollen helfen, Versorgungslücken zu schließen, und eine Unterstützung bei der Therapie bieten. Mit der Zulassung der ersten DiGA werden aber auch immer mehr kritische Stimmen laut. Aber sind die Zweifel begründet? Und was können die Apps in Zukunft bringen?

Mit Inkrafttreten des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) zum 19. Dezember 2019 wurden auch die „Apps auf Rezept“ in die Gesundheitsversorgung eingeführt. Nach dem erfolgreichen Durchlaufen eines Prüfverfahrens werden DiGA in das Verzeichnis erstattungsfähiger digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA-Verzeichnis) des BfArM aufgenommen und können seit Oktober 2020 von Ärzten und Psychotherapeuten zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden.

Wo liegen die Bedenken?

Auf große Kritik stoßen die DiGA vor allem bei den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen). So bemängelt der Vorstand der KV Bayerns beispielsweise die Intransparenz in Bezug auf Qualität und Datenschutz und befürchtet, dass hochsensible Gesundheitsdaten für kommerzielle Zwecke verwendet werden könnten.1 Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sieht in den neuen Apps vor allem in finanzieller Hinsicht ein Problem. Da die Hersteller der Apps im ersten Jahr die Preise einseitig festlegen, könnten erhebliche Kosten auf die gesetzlichen Krankenkassen zukommen. So belaufen sich die Kosten einer App für Angststörungen auf 476,00 € pro Patient und Quartal.2 In der Ärzteschaft scheint hingegen der fehlende Wirkungsnachweis (Stichwort positiver Versorgungseffekt) bei manchen DiGA für Verunsicherung zu sorgen. Dieser muss aufgrund des sog. Fast-Track-Verfahrens erst innerhalb des ersten Jahres nach Markteinführung in Form von Studien vorgelegt werden (in Ausnahmen sogar erst später). So gaben in einer Umfrage des Statistikdienstleiters IQVIA unter 124 niedergelassenen Hausärzten und 16 niedergelassenen Fachärzten 40 % an, derzeit nicht bereit zu sein, Gesundheits-Apps zu verschreiben. Als häufigster Grund für die Zurückhaltung wurde mit 28 % der fehlende medizinische Nutzen genannt.3 Der Bundesvorsitzende der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung (DPtV) Gebhard Hentschel bemängelt in Bezug auf das Fast-Track-Verfahren aus diesem Grund: „Die Patienten werden damit zu Versuchskaninchen. Gleichzeitig haften wir als Psychotherapeuten für jegliche Nebenwirkungen, die solche Apps verursachen können. Ein Einsatz solcher DiGA in der Therapie ist daher wenig attraktiv. Es gibt noch einen großen Forschungsbedarf.“4 Größtenteils scheinen die Ärzte den Apps aber durchaus offen gegenüberzustehen. So gaben in einer Umfrage der BARMER unter 1.000 Ärzten 42 % an, dass sie die Verordnung von DiGA sehr gut oder gut zu finden, 48 % befinden sie immerhin als teilweise gut. Ein anderes Bild zeigte sich allerdings, als man die Ärzte danach fragte, wie gut sie sich auf die Beratung zu den Apps vorbereitet fühlen: 41 % gaben hier an, sie fühlen sich schlecht – 15 % sogar sehr schlecht – vorbereitet.5

Die Gefahr des Unbekannten …

An der Umfrage der BARMER zeigt sich auch der rote Faden, der sich durch die Diskussion um das Für und Wider der DiGA zieht. So scheint vor allem die mangelnde Erfahrung und die damit einhergehende Unsicherheit mit den neuen Apps zu den größten Problemen zu gehören. Fehlende Studienergebnisse, Sicherheitsbedenken und potentiell hohe Kosten spielen zusätzlich in die Skepsis hinein, mit der sich jede neue Maßnahme oder Weiterentwicklung konfrontiert sieht. Ein kritisches Hinterfragen ist immer wichtig und sollte genutzt werden, um die Forschung zu den DiGA weiter auszubauen und insbesondere die momentan noch mangelnde Transparenz zu erhöhen und so das Vertrauen der Ärzte zu stärken. Ausführlichere Schulungen und ein eigenes Testen der Apps könnten zusätzlich helfen, die Ärzte besser auf die Beratung vorzubereiten.

Fazit

Inwiefern DiGA von Ärzten und Patienten in Zukunft angenommen werden, wird sich vermutlich erst in den nächsten Jahren zeigen, wenn ausreichende Studienergebnisse und Anwendungsbeobachtungen vorliegen, Ärzte sich ihr eigenes Bild von der Integration der Apps in die laufende Therapie machen konnten und sich die Kosten an den Nutzen angepasst haben. Eine Verpflichtung zur Darlegung von positiven Studienergebnissen vor Markteinführung sowie eine intensivere Schulung der Ärzte zu den Inhalten der DiGA würde sicherlich helfen, die derzeit bestehende Skepsis ein wenig zu verringern.

 

Wie ist Ihre Meinung zu diesem Thema?

Schreiben Sie uns: info@rpinstitut.com

 

1 Presseinformation Kassenärztliche Vereinigung Bayerns – KVB-Vorstand zu Gesundheits-Apps: „Patienten nicht zu Versuchskaninchen machen!“, Stand 17. September 2020

2 Praxisnachrichten Kassenärztliche Bundesvereinigung – Teure Apps mit unklarem Nutzen – Erste verschreibungsfähige DiGA auf dem Markt, Stand 08.10.2020

3 IQVIA – Kurzbericht „Die Sicht niedergelassener Ärzte in Deutschland auf die COVID-19-Krise und die Bedeutung von Digital Health“, Stand November 2020

4 Ärzteblatt – Apps auf Rezept: Noch viele Unsicherheiten bei Ärzten, abzurufen unter: www.aerzteblatt.de/nachrichten/117236/Apps-auf-Rezept-Noch-viele-Unsicherheiten-bei-Aerzten, zuletzt abgerufen am 25.11.2020

5 BARMER-Umfrage zu Gesundheits-Apps – Ärzte stehen digitalen Helfern offen gegenüber, abzurufen unter: www.barmer.de/presse/umfrage-app-diga-247896, zuletzt abgerufen am 25.11.2020