Vorsicht: Neue Heilmittel-Richtlinie birgt Regressgefahren!

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Abrechnungstipps von Dr. med. Gerd W. Zimmermann

Es war der FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr, der während seiner kurzen Amtszeit von Mai 2011 bis Dezember 2013 der Vertragsärzteschaft die Regressangst nehmen wollte. Arzneimittel- und Heilmittel-Regresse dürfen seither erst vollzogen werden, wenn zuvor eine Beratung stattgefunden hat. Die Kassen haben auf diese gesetzliche Maßnahme mit einem regelrechten Tsunami an Einzelregressanträgen reagiert. Vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bekommen sie jetzt leider noch Rückenwind! Zum Jahreswechsel treten Neuerungen bei der Heilmittelverordnung in Kraft, die es in sich haben!

Bereits am 19. September 2019 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine neue Heilmittel-Richtlinie beschlossen. Die Änderungen sollten zunächst am 1. Oktober 2020 in Kraft treten. Weil sie aber derart komplex sind, wurde eine Verschiebung auf den Jahreswechsel notwendig. Diese Komplexität gilt insbesondere auch für das neue Heilmittelverordnungsformular nach Muster 13, das uns die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) eigentlich als Arbeitserleichterung verkaufen will! Das neue Formular vereinigt die Verordnungen für Physiotherapie, Podologie, Ergotherapie, Ernährungstherapie, Stimm-, Sprech-, Sprach- und Schlucktherapie. Die Angaben auf dem neuen Heilmittel-Formular orientieren sich an den geänderten Vorgaben der Heilmittel-Richtlinie. Deshalb sind viele Felder weggefallen, deren Angabe zukünftig nicht mehr erforderlich ist, wie z. B. die Differenzierung nach Erst- und Folgeverordnung oder die Begründung für Verordnungen außerhalb des Regelfalls.

Unverändert muss die Diagnosegruppe gemäß Heilmittelkatalog und die behandlungsrelevante Diagnose im Format ICD-10-GM angegeben werden. Der Diagnoseklartext wird von der Software automatisch eingefügt und kann bei Bedarf ergänzt werden. Wie bisher ist es möglich, eine weitere Diagnose anzugeben, wenn ein besonderer Verordnungsbedarf geltend gemacht werden soll, bei dem die Angabe eines zweiten ICD-10-Codes Voraussetzung ist.

Die Verordnungsvorgaben im Regelfall sind weg!

Die Angabe der Leitsymptomatik bleibt ebenfalls obligat. Künftig sind dafür jedoch gesonderte Ankreuzfelder vorgesehen. Damit kann entweder eine oder es können mehrere buchstabencodierte Leitsymptomatik(en) nach Heilmittelkatalog ausgewählt werden. Auch in diesem Fall wird die Verordnungssoftware den Klartext auf der Verordnung automatisch hinzufügen. Alternativ kann eine patientenindividuelle Leitsymptomatik, die für die Heilmittelbehandlung handlungsleitend ist, formuliert und im Freitextfeld angegeben werden. Voraussetzung ist, dass die patientenindividuelle Leitsymptomatik der jeweiligen Diagnosegruppe zugeordnet werden kann und mit den im Heilmittelkatalog aufgeführten Regelbeispielen vergleichbar ist.

Zukünftig können bis zu 3 vorrangige sowie 1 ergänzendes Heilmittel gleichzeitig verordnet werden, wofür jeweils gesonderte Felder definiert sind. Die Verordnungssoftware bietet entsprechend der angegebenen Diagnosegruppe die verordnungsfähigen Heilmittel gemäß Heilmittelkatalog zur Auswahl an. Dabei kann die Behandlungszeit festgelegt werden, z. B. 45 Minuten bei der manuellen Lymphdrainage (MLD-45). Zudem wird definiert, ob die Maßnahme als Einzeltherapie (KG) oder als Gruppentherapie erfolgen soll (KG Gruppe).

Wie bisher müssen den Heilmitteln die Behandlungseinheiten zugeordnet werden, wobei die Anzahl den Wert gemäß Heilmittelkatalog nicht überschreiten darf. Bei Verordnung mehrerer Heilmittel sind die Einheiten entsprechend aufzuteilen. Die Höchstmenge eines ergänzenden Heilmittels richtet sich nach den verordneten Behandlungseinheiten des oder der vorrangigen Heilmittel(s).

Therapiefrequenz wird als Empfehlung vorgegeben, kann aber auch als Regressinstrument dienen!

Die Therapiefrequenz wird von der Software als Therapiespanne von in der Regel 1- bis 3-mal pro Woche vorbelegt, dient wie bisher aber nur als Empfehlung und Orientierung, von der in medizinisch begründeten Fällen abgewichen werden kann. Bezüglich der Verordnung eines Hausbesuches sind keine Änderungen erfolgt und bei Anforderung eines Therapieberichts entfällt ein Ankreuzfeld, in dem bei Verzicht auf einen Therapiebericht keine Kennzeichnung mehr erfolgen muss. Auch die Angabe von Therapiezielen bleibt für die Vertragsärzte freiwillig.
Mit der Änderung der Heilmittel-Richtlinie verlängert sich die Gültigkeit der Verordnung von 14 auf 28 Tage. Das Feld zur Angabe eines späteren Behandlungsbeginns entfällt. Gleichzeitig kann es aber medizinisch notwendig werden, dass die Behandlung früher begonnen wird. In diesem Fall muss das Feld „dringlicher Behandlungsbedarf“ angekreuzt werden.        

Fazit:

Ab 1. Januar 2021 wird die Verordnungssoftware der Vertragsärztinnen und -ärzte im Praxisverwaltungssystem (PVS) um diese Tools erweitert. Wer sich ab diesem Zeitpunkt nicht die Zeit nimmt, dortige Hinweise bei der Heilmittelverordnung genau zu beachten, muss mit Einzelregressanträgen der Kassen rechnen, wenn er die Vorgaben nicht beachtet. Solche Anträge dürfen zwar nur noch 2 Jahre rückwirkend gestellt werden, trotzdem kann aber immer noch eine existenzvernichtende Regress-Summe zusammenkommen.

Dr. med. Gerd W. Zimmermann ist Facharzt für Allgemeinmedizin mit eigener Praxis in Hofheim/Taunus und seit vielen Jahren als Referent sowie Autor zum Thema Leistungsabrechnung nach EBM und GOÄ tätig.