Es gibt jetzt eine Tele-Heilmittelbehandlung!

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Abrechnungstipps von Dr. med. Gerd W. Zimmermann

Was bisher nur im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie eine Rolle gespielt hat, wird jetzt zum Standard: Die telemedizinische Heilmittelbehandlung (Videotherapie) gehört künftig zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Das klingt harmlos, macht aber möglicherweise ein Umdenken bei der Heilmittelverordnung notwendig.

Hintergrund

Die erforderlichen Änderungen in der Heilmittel-Richtlinie treten Anfang 2022 in Kraft. Einen entsprechenden Beschluss hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) am 21. Oktober gefasst. Darin wurden Grundsätze zur Videotherapie in die Richtlinie aufgenommen. Wie die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) mitteilt, hatte der G-BA am 15. Oktober 2020 das Beratungsverfahren zur Videotherapie eingeleitet. Anlass waren im März 2020 Empfehlungen der Kassenverbände auf Bundesebene und des GKV-Spitzenverbands, wegen der COVID-19-Pandemie kurzfristig die Möglichkeit zu schaffen, unter bestimmten Voraussetzungen ausgewählte Leistungen der Heilmittelbehandlung auch per Video erbringen zu können. Ab September 2020 nahm der G-BA die Videobehandlung mit in die COVID-19-Sonderregelungen (§ 2a der Heilmittel-Richtlinie) auf und ermöglichte die Videobehandlung im Bereich der Physiotherapie, Stimm-, Sprech- Sprach- und Schlucktherapie sowie Ergotherapie und Ernährungstherapie. Während der laufenden Beratungen ist das Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (DVPMG) beschlossen worden und am 9. Juni 2021 in Kraft getreten. Dort wurde ein Anspruch der Versicherten auf telemedizinische Erbringung von Heilmitteln aufgenommen (§ 32 SGB V). GKV-Spitzenverband und Heilmittelverbände sollen deshalb bis 31. Dezember 2021 in den Rahmenverträgen vereinbaren, welche Leistungen telemedizinisch erbracht werden und welche technischen Voraussetzungen dafür erforderlich sind (§ 125 SGB V). Mit dem vorliegenden Beschluss nimmt der G-BA nun unabhängig von der Corona-Pandemie Regelungen zur telemedizinischen Heilmittelbehandlung in die Heilmittel-Richtlinie auf.

Detailregelungen

Es wird ein neuer § 16b „Erbringung von Heilmitteln als telemedizinische Leistung“ in die Heilmittel-Richtlinie eingeführt. Telemedizinische Leistungen müssen vorrangig im Wege einer Onlinebehandlung per Videoübertragung in Echtzeit stattfinden. Aufgezeichnete Videofilme oder digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) stellen demnach keine Behandlung im Sinne der Richtlinie dar. Nur in Einzelfällen, insbesondere wenn der Beratungsaspekt im Vordergrund steht, kann auch eine telefonische Behandlung in Betracht gezogen werden (z. B. bei einer Ernährungsberatung).

Die Entscheidung, ob Heilmittel als telemedizinische Leistung erfolgen, trifft der Patient gemeinsam mit dem Heilmitteltherapeuten. Bei der Verordnung können Ärzte und Psychotherapeuten ausschließen, dass eine Heilmittelbehandlung telemedizinisch erfolgen darf.

Die Heilmitteltherapie im Rahmen eines unmittelbar persönlichen Kontaktes bleibt etablierter Standard und hat weiter Vorrang vor einer Erbringung als telemedizinische Leistung, sofern das Therapieziel nicht in gleichem Maße so erreicht werden kann. Die erste Behandlung im jeweiligen Verordnungsfall muss dabei im persönlichen Kontakt stattfinden. Im Rahmen der Heilmitteltherapie müssen außerdem regelmäßig Verlaufskontrollen bei persönlichem Kontakt erfolgen. Kann die Behandlung als telemedizinische Leistung nicht sachgerecht erfolgen, beispielsweise wenn das Therapieziel durch eine Behandlung per Video nicht erreicht werden kann oder auch bei Übertragungsproblemen, muss die Behandlung im Wege eines unmittelbar persönlichen Kontaktes fortgesetzt werden. Ärzte und Psychotherapeuten können beim Ausstellen der Heilmittelverordnung über den Ausschluss der Erbringung von Heilmitteln als telemedizinische Leistung entscheiden. Sofern aus Sicht des Verordners ein wichtiger Grund vorliegt, der gegen eine Heilmittelbehandlung per Video spricht, kann die Videobehandlung mit einem entsprechenden Hinweis auf dem Verordnungsvordruck (Formular 13) im Feld „ggf. Therapieziele / weitere med. Befunde und Hinweise ggf. Therapieziele / weitere med. Befunde und Hinweise“ ausgeschlossen werden. Ergibt sich im Laufe der Behandlung, dass trotz des Ausschlusses eine Behandlung per Video geeignet ist, besteht die Möglichkeit – aber erst nach Zustimmung des Patienten und nur im Einvernehmen mit dem Verordner –, auf eine telemedizinische Leistungserbringung umzusteigen.

Fazit

Der Beschluss könnte für die betroffenen vertragsärztlichen Praxen zu einer zusätzlichen bürokratischen Mehrbelastung führen:

  • Die Tatsache, dass Patient und Behandler entscheiden, ob eine Tele-Heilbehandlung stattfinden soll, und der Arzt nur widersprechen darf, bringt (noch mehr) Diskussionen in die Praxis!
  • Es könnte sein, dass sich die Kassen den (teuren) Hausbesuch zur Erbringung einer Heilmittelbehandlung sparen wollen und deshalb auf die Tele-Behandlung drängen bzw. mit Wirtschaftlichkeitsprüfungen drohen.
  • Die Tele-Heilmittel können von den Anbietern mit einem wesentlich geringeren Aufwand an den Patienten gebracht werden. Es könnte deshalb zu einem gewissen Druck kommen, solche Behandlungen vermehrt zu verordnen.

Dr. med. Gerd W. Zimmermann ist Facharzt für Allgemeinmedizin mit eigener Praxis in Hofheim/Taunus und seit vielen Jahren als Referent sowie Autor zum Thema Leistungsabrechnung nach EBM und GOÄ tätig.